1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Vertracktes Verhältnis: Israel und die UN

Thomas Latschan mit dpa, afp
28. Oktober 2023

Die Rede von UN-Generalsekretär Antonio Guterres ließ den Streit zwischen Israel und den Vereinten Nationen eskalieren. Dabei sind deren Beziehungen schon lange kompliziert.

UN-Generalsekretär Guterres auf einer Pressekonferenz im UN-Hauptquartier
Sorgte mit seiner Rede in Israel für heftige Empörung: UN-Generalsekretär Antonio GuterresBild: Craig Ruttle/AP/picture alliance

Die Empörung ließ nicht lange auf sich warten. Antonio Guterres habe "eine rote Linie" überschritten und "die Gräueltaten der Hamas gerechtfertigt", so ein Sprecher des israelischen Außenministeriums. Auch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zeigte sich entsetzt; Israels UN-Botschafter Gilad Erdan forderte den sofortigen Rücktritt des UN-Generalsekretärs; die Regierung in Jerusalem kündigte sogar an, UN-Vertretern die Visa zu verweigern. Guterres hatte zuvor den blutigen Angriff der Hamas auf Israel scharf verurteilt, zugleich aber erklärt, dass dieser "nicht im luftleeren Raum" stattgefunden habe, die Palästinenser seit Jahrzehnten unter einer "erdrückenden Besatzung" durch Israel litten und Israel in Gaza "Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht" begehe.

Guterres‘ Worte zum Nahostkonflikt lösten einen Eklat aus – im UN-Sicherheitsrat kochten die Wellen hoch, die dortigen Vertreter überzogen sich gegenseitig mit Vorwürfen der "mangelnden Empathie" und "falschen Verhältnismäßigkeit". Guterres selbst wiederum zeigte sich "schockiert" und fühlte sich "falsch interpretiert".

Sicherheitsresolutionen ohne Chance

Der tiefe Riss, der auch die UN selbst in zwei Lager spaltet, zeigte sich kurz darauf erneut im Sicherheitsrat: Dort standen am Mittwoch zwei Resolutionsentwürfe zur Debatte. Eigentlich verfolgen beide das gleiche Ziel: Die Waffen sollen schweigen, um Hilfslieferungen in den abgeriegelten Gazastreifen zu ermöglichen.

Doch der erste, von den USA eingebrachte, Entwurf forderte lediglich kurze Feuerpausen, die Anerkennung des israelischen Rechts auf Selbstverteidigung und ein Ende der Bewaffnung militanter Gruppen wie der Hamas in Gaza. Er scheiterte am Veto Chinas und Russlands. Die beiden Länder forderten in ihrem Entwurf stattdessen einen Waffenstillstand und die Rücknahme der israelischen Aufforderung an Zivilisten, angesichts einer bevorstehenden Bodenoffensive aus dem Norden Gazas in den Süden zu fliehen. Dies wiederum wurde von den USA und Großbritannien blockiert. 

Hilfslieferungen des ägyptischen Roten Halbmondes für Gaza am Grenzübergang RafahBild: Mohammed Asad/AP Photo/picture alliance

UN-Dauerthema Nahost

Zu keiner anderen Krisenregion der Welt gibt es so viele UN-Resolutionen wie zu Israel und den palästinensischen Gebieten. Die Beziehungen zwischen Israel und der UN sind seit jeher angespannt. Denn in der UN-Generalversammlung gibt es eine stabile, dauerhafte Mehrheit von Staaten, die die Situation der Palästinenser seit Jahren regelmäßig auf die Tagesordnung setzen und sich dabei kritisch gegenüber Israel äußern. Neben den muslimischen sind dies vor allem zahlreiche Staaten des "globalen Südens".

Deutschland orientiert sich bei seinem Abstimmungsverhalten in der Regel an einer gemeinsamen Position der EU und stimmt je nach Thema unterschiedlich ab. Die USA votieren traditionell im Interesse Israels.

Bezeichnete die Vereinten Nationen jüngst als "kaputt" und "moralisch korrumpiert": Israels UN-Botschafter Gilad ErdanBild: John Angelillo/UPI Photo/Newscom/picture alliance

Allein zwischen 2015 und 2022 hat die UN-Vollversammlung laut der Genfer Nichtregierungsorganisation UN Watch 140 israelkritische Resolutionen verabschiedet, die beispielsweise den Siedlungsbau in palästinensischen Gebieten oder die Annexion der Golanhöhen betreffen. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum gab es zu allen anderen Regionen der Welt insgesamt nur 68 weitere Resolutionen, nur fünf davon befassten sich etwa mit dem Iran.

In Israel fühlt man sich dementsprechend seit langem ungerecht behandelt von der UN. Wohl auch deshalb fiel die israelische Reaktion auf die Rede ihres Generalsekretärs so scharf aus.

Resolution ist nicht gleich Resolution

Wichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass die Resolutionen der UN-Generalversammlung völkerrechtlich nicht bindend sind. Sie stellen lediglich Leitlinien oder Haltungen der Staatengemeinschaft zu bestimmten Konfliktthemen dar. Als beschlossen gelten Resolutionen, wenn die UN-Generalversammlung mit Zwei-Drittel-Mehrheit dafür stimmt.

Resolutionen des UN-Sicherheitsrats hingegen sind völkerrechtlich bindend, sie werden gegen Staaten oder Konfliktparteien ausgesprochen, die die internationale Sicherheit gefährden oder das Völkerrecht oder die Menschenrechte verletzen. Sie können jedoch durch das Veto eines einzigen der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder blockiert werden. Hier halten die USA grundsätzlich ihre schützende Hand über die Regierung in Jerusalem: Washington macht von seinem Vetorecht in Bezug auf Israel regelmäßig Gebrauch.

Der Nahostkonflikt und die Situation der Palästinenser sind in wiederkehrender Regelmäßigkeit Thema bei der UN-GeneralversammlungBild: Manuel Elias/UN Photo/Xinhua News Agency/picture alliance

Das hat zu der bizarren Situation geführt, dass den 140 israelkritischen Resolutionen der Generalversammlung seit 2015 bislang nur eine einzige Entschließung des UN-Sicherheitsrates gegenübersteht: 2016 forderte das höchste UN-Gremium einen Stopp des israelischen Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten. Und auch hier stimmten die USA nicht explizit für die Resolution, sondern enthielten sich lediglich ihrer Stimme.

Nun hat die Generalversammlung die nächste Nahost-Resolution verbschiedet: Jordanien und 21 andere arabische Staaten brachten an diesem Freitag einen Entwurf ein, indem sie einen Waffenstillstand und den uneingeschränkten Zugang zu  humanitärer Hilfe im Gazastreifen fordern.

Israel wird in dem Text als "Besatzungsmacht" bezeichnet, sein Recht auf Selbstverteidigung wird nicht erwähnt. Die Hamas - von Deutschland, der Europäischen Union, den Vereinigten Staaten und sogar einigen arabischen Staaten als terroristische Organisation eingestuft - wird in dem Text dagegen nicht namentlich genannt. Israels UN-Botschafter Gilad Erdan kritisierte das auf der Plattform X auf das Schärfste. Dennoch stimmte die UN-Vollversammlung dem Antrag mit großer Mehrheit zu. 

Die palästinensische militant-islamistische Hamas begrüßte die Resolution. Gilad Erdan prangerte den Text auch nach der Abstimmung weiterhin mit scharfen Worten an: "Der einzige Ort, an den diese Resolution gehört, ist der Mülleimer der Geschichte." Die UN habe gezeigt, dass sie  "nicht mehr die geringste Legitimität oder Relevanz" besitze.

Beziehung mit Höhen und Tiefen

Dabei galten die Vereinten Nationen einst sogar als eine Art "Geburtshelfer Israels". 1947 beschloss die Generalversammlung - gegen den Widerstand der arabischen Staaten - den UN-Teilungsplan für Palästina und machte dadurch den Weg frei für die Gründung des Staates Israel ein halbes Jahr später. Damals bestanden die Vereinten Nationen noch aus lediglich 57 Mitgliedstaaten. Insbesondere infolge der Dekolonialisierung nahm diese Zahl immer weiter zu, weil neu entstehende Staaten der UN beitraten und so auch die politischen Gewichtungen in der Generalversammlung veränderten.

Nach dem Sechstagekrieg und der darauffolgenden israelischen Besetzung der Palästinensergebiete 1967 verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Israel und UN zusehends. Seitdem nahm auch die Zahl der israelkritischen Resolutionen der Generalversammlung deutlich zu. Im UN-Menschenrechtsrat gibt es mittlerweile bei jeder Sitzung einen eigenen Tagesordnungspunkt, der sich mit der Lage in den von Israel besetzten Gebieten befasst.

Demgegenüber gab es in den vergangenen Jahren auch kleinere diplomatische Schritte hin zu einer stärkeren Einbindung Israels in die UN. So stellte das Land 2012 erstmals einen Vizepräsidenten der Generalversammlung, 2016 den Vorsitzenden des Rechtsausschusses. Dennoch blieb das Verhältnis Israels zu den Vereinten Nationen stets angespannt.

Noch mit Lächeln und Handschlag: Antonio Guterres und Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant Ende August 2023Bild: Ariel Hermoni/AA/picture alliance

Diese Spannung eskalierte nach der Rede von Generalsekretär Guterres vollends. Dabei galt der 74-jährige Portugiese eigentlich nie als sonderlich israelkritisch. Im Gegenteil: Erst 2020 hatte der Jüdische Weltkongress (WJC) ihm für seine Arbeit den Theodor-Herzl-Preis verliehen. "Über viele Jahre hinweg haben Sie gezeigt, dass Sie ein wahrer und hingebungsvoller Freund des jüdischen Volkes und des Staates Israel sind", wandte sich WJC-Präsident Ronald Lauder in seiner Lobrede seinerzeit an Guterres. Die Zeiten derart warmer Worte sind wohl fürs Erste vorbei.

Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen