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Politik

Vermisste Kinder: Hohe Aufklärungsquote

Mirjam Benecke
25. Mai 2020

In Deutschland gelten mehr als 1800 Kinder als vermisst. Die allermeisten tauchen zum Glück schon nach kurzer Zeit wieder auf. Doch nicht jeder Fall geht gut aus. Der Tag der vermissten Kinder erinnert an sie.

Kinderspielplatz in Köln
Bild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini

Hilal ist zehn Jahre alt, als sie die Wohnung ihrer Eltern im Hamburger Stadtteil Lurup zum letzten Mal verlässt. Sie hat an diesem Tag ein gutes Schulzeugnis nach Hause gebracht. Zur Belohnung schenkt ihr der Vater eine Mark. Das Mädchen will sich Süßigkeiten im nahen Einkaufszentrum kaufen - und kehrt nicht zurück.

Das war vor 21 Jahren. Seitdem ist Hilal eines von mehr als 1800 Kindern, die in Deutschland als vermisst gelten. Die Zahl des Bundeskriminalamts (BKA) scheint auf den ersten Blick dramatisch hoch. Doch zum Glück sind Fälle wie der von Hilal die Ausnahme. Die allermeisten Kinder tauchen nach kurzer Zeit wieder auf. Laut BKA ist der "Anteil der Kinder, deren Verbleib auch nach längerer Zeit nicht geklärt werden kann, sehr gering".

Eltern erleben immer wieder "vernichtende Enttäuschung"

Die Aufklärungsquote lag in den vergangenen Jahren bei weit über 90 Prozent. Trotzdem: Es gibt Fälle, bei denen Kinder jahrelang oder sogar für immer verschwunden bleiben. "Für Eltern, die ein Kind vermissen, stellt die Ungewissheit über das Schicksal des Kindes eine enorm belastende Situation dar", sagt Bianca Biwer, Geschäftsführerin des Weißen Rings. Die Folgen seien Angststörungen und Schuldgefühle.

Dazu komme bei vielen eine "immer wiederkehrende vernichtende Enttäuschung", sagt Biwer der Nachrichtenagentur dpa. Als Beispiel nennt sie eine Mutter, die auch nach 30 Jahren noch immer bei jedem Klingeln des Telefons oder an der Tür hofft, dass es ihre verschwundene Tochter sei. Der Weiße Ring betreut Eltern, deren Kinder vermisst werden, manche schon sehr lange. Die Menschen müssten "stabilisiert werden, trotz der Situation noch ein eigenes Leben leben zu können. Das ist schwierig für die Betroffenen."

Wo ist Rebecca? Polizisten durchsuchen im März 2019 ein Waldstück im Landkreis Oder-SpreeBild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Die Bilder der teilweise jahrelang gesuchten Kinder brennen sich ins Gedächtnis ein. Da ist das damals dreijährige britische Mädchen Maddie McCann, das 2007 aus einer Ferienwohnung in Portugal verschwand. Oder die Schülerin Rebecca, die zuletzt vor über einem Jahr im Haus ihrer Schwester in Berlin gesehen wurde.

Fußball-Clubs teilen Videos vermisster Kinder

Am 25. Mai - dem Tag der vermissten Kinder - rücken ihre Schicksale noch einmal besonders in den Mittelpunkt. So wollen über 50 Fußballvereine in ganz Europa ihre Social-Media-Kanäle nutzen, um bei der Suche nach verschwundenen Kindern zu helfen. Vereine wie Borussia Dortmund, der FC Liverpool oder der FC Barcelona werden dafür Videos von Kindern teilen, die vermisst werden.

Der Aktionstag wird in Deutschland seit 2003 vom Weißen Ring und der Initiative Vermisste Kinder ausgerichtet. Doch warum ausgerechnet am 25. Mai?

Vier Jahrzehnte nach dem Verschwinden von Etan Patz wurde sein Mörder verurteiltBild: picture-alliance/AP Photo/M. Lennihan

Der Junge auf der Milchtüte

Der Tag der vermissten Kinder - oder Missing Children's Day - kommt ursprünglich aus den USA. Dort verschwand am 25. Mai vor 41 Jahren der sechsjährige Etan Patz. Seine Mutter hatte ihm damals zum ersten Mal erlaubt, den Weg zum Schulbus im New Yorker Stadtteil SoHo allein zu gehen. Sie schaute ihm noch hinterher, als er die einzige Straßenkreuzung auf dem Weg überquerte - doch auf den letzten Metern verschwand Etan spurlos.

Der Fall löste eine riesige Suchaktion aus. Zum ersten Mal druckte die Polizei das Gesicht eines gesuchten Kindes auf Milchtüten. Millionen US-Amerikaner blickten so am Frühstückstisch ins Gesicht des kleinen Jungen. Der damalige US-Präsident Ronald Reagan erklärte im Jahr 1983 den 25. Mai zum nationalen Gedenktag für verschwundene Kinder.

2017 wurde ein schon länger verdächtiger Mann des Mordes an Etan Patz schuldig gesprochen - die Leiche des Kindes wurde nie gefunden.

Bild: picture-alliance/dpa/I. Wagner

In den USA werden werden pro Jahr etwa 460.000 Kinder als vermisst gemeldet. In Großbritannien sind es 113.000 und in Deutschland rund 100.000. Diese Zahlen hat das International Centre for Missing and Exploited Children gesammelt und veröffentlicht. Das Problem: "In vielen Ländern gibt es nicht mal Statistiken über die Zahl verschwundener Kinder", so das Zentrum.

Auch die Zahl von Kindern, die in Kriegsgebieten oder auf der Flucht verschwinden, lässt sich nur schwer schätzen. Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks UNICEF sind unbegleitete Kinder und Jugendliche auf der Flucht ganz besonders gefährdet, Opfer von Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt zu werden. Oft seien sie abhängig von kriminellen Schleppern, die keine Skrupel haben, ihre Notlage auszunutzen.

Gefahr krimineller und sexueller Ausbeutung

In Deutschland sind laut Bundesregierung etwa 1800 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge als vermisst gemeldet (Stand März 2020). Ein Teil davon ist in der Zahl der 1800 vermissten Kinder enthalten. Das erklärt sich so: Als in Deutschland vermisste Kinder werden alle Unter-14-Jährigen gezählt. Bei den unbegleiteten Minderjährigen auf der Flucht kommen die Jugendlichen hinzu, also alle, die zwischen 14 und 18 Jahre alt sind. 

Gründe für das Verschwinden von minderjährigen Flüchtlingen sind zum Beispiel die Weiterreise zu Familienangehörigen innerhalb Deutschlands oder Europas - aber auch die Unzufriedenheit mit ihrer Unterbringung.

Der Bundesfachverband Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge erklärt außerdem, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein Teil der als vermisst gemeldeten Minderjährigen von Kriminellen ausgebeutet würden. So gebe es Hinweise, dass minderjährige Flüchtlinge zu Prostitution und Diebstahl gezwungen werden, weil sie noch Schulden an Schlepper zurückzahlen müssten.

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