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PolitikPakistan

Taliban und Pakistan: Auf die Hoffnung folgt Zerknirschung

Zia Ur Rehman
27. April 2024

Seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan haben sich die Beziehungen der Taliban zu Pakistan dramatisch verändert. Kabul pocht auf seine Eigenständigkeit gegenüber Islamabad.

Ein pakistanischer Soldat (r) und ein Kämpfer der Taliban stehen Wache an einem Grenzübergang zwischen Pakistan und Afghanistan auf den jeweiligen Seiten der Länder
Angespannte Situation: Grenzübergang zwischen Pakistan und Afghanistan Bild: AP Photo/dpa/picture alliance

Im August 2021 fiel die afghanische Hauptstadt Kabul an die Taliban. Das hatte auch Folgen für die Beziehung der nun an der Regierung befindlichen Fundamentalisten zum Nachbarland Pakistan:  Sie hat sich seitdem immer weiter verschlechtert. 

Viele Experten führen die aktuellen Spannungen auf die Zunahme des von Afghanistan ausgehenden grenzüberschreitenden Terrorismus zurück.

Allerdings haben umgekehrt auch einige Maßnahmen Islamabads das Taliban-Regime verärgert: So hatte Pakistan im vergangenen Jahr einige Handelsbeschränkungen für das Nachbarland erlassen. Zudem hatte es rund  500.000 afghanische Migranten ohne Papiere ausgewiesen sowie strengere Visabestimmungen an den Grenzübergängen eingeführt.

Im vergangenen Monat attackiert die pakistanische Luftwaffe wiederholt Orte in Afghanistan, an denen sie die Verstecke militanter pakistanischer Gruppen vermutete. Dabei wurden acht Menschen getötet. Der Angriff veranlasste die afghanischen Streitkräfte, das Feuer an der Grenze zu erwidern.

Von Hoffnung zu Zerknirschung 

Ursprünglich hatte Pakistan gehofft, nach der Machtübernahme durch die Taliban von der bisherigen Zusammenarbeit mit ihnen profitieren zu können, sagt Naad-e-Ali Sulehria, Südostasien-Experte beim Think Tank PoliTact in Washington, im Gespräch mit der DW.

So habe Islamabad etwa darauf gehofft, die Taliban würden gegen die Gruppe Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP) und andere militante pakistanische Organisationen vorgehen und deren Zufluchtsorte auf afghanischem Boden zerstören.

Doch diese Hoffnungen haben sich verflüchtigt, ja mehr noch: Pakistan registrierte einen Anstieg des Terrorismus. Der Grund: Die Rückkehr der Taliban an die Macht ermutigte und stärkte die TTP.

Einem Bericht des in Islamabad ansässigen Zentrums für Forschung und Sicherheitsstudien zufolge stieg die Zahl der Todesopfer infolge militanter Angriffe im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 56 Prozent. Über 1500 Menschen wurden getötet, darunter 500 Sicherheitskräfte.

Erst in der vergangenen Woche wurden bei zwei Anschlägen in zwei unruhigen Bezirken der Provinz Khyber Pakhtunkhwa zwei Polizisten getötet und sechs verletzt.

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Pakistan und die Taliban: eine komplexe Beziehung

Die seit langem bestehenden Beziehungen Pakistans zu den Taliban sind komplex und vielfach widersprüchlich. Infolge historischer Ereignisse und strategischen Kalküls haben sie zudem zahlreiche Wandlungen durchlaufen.

Die beiden Länder haben, vor allem im paschtunisch geprägten Grenzgebiet, enge kulturelle Verbindungen, liegen miteinander aber wegen der 1893 von den Briten gezogenen 2640 Kilometer langen Grenze, der sogenannten Durand-Linie, im Streit.

Die Linie teilte das Land der paschtunischen Stämme. Darüber entstand die Idee eines unabhängigen Staates "Paschtunistan", der die paschtunischen Gebiete auf beiden Seiten der Grenze umfassen sollte. Doch dieser Staat kam nie zustande. Der Streit aber schwelt bis heute weiter.

Infolge der sowjetischen Invasion in Afghanistan im Jahr 1979 knüpfte Islamabad enge Beziehungen zu muslimischen Extremisten jenseits der Grenze.

"Aus Sorge vor dem sowjetischen Einfluss wurde Pakistan zu einem wichtigen Durchgangsland für die westliche Hilfe für die afghanischen Mudschaheddin, also jene Rebellengruppen, die gegen die Sowjets kämpften", sagt der in Islamabad lebende Historiker Ubaidullah Khilji.

Nach dem Abzug der Sowjets stürzte Afghanistan in einen Bürgerkrieg. Der brachte eine neue islamistische Gruppierung hervor: die Taliban. Pakistan erkannte 1996 zusammen mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten das Taliban-Regime an und gewährte ihm militärische Unterstützung und weitere Hilfen.

Als die USA und ihre Verbündeten Afghanistan nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 besetzten, brach das Regime der Taliban Ende des Jahres zusammen.

Einige Mitglieder der Gruppe fanden Zuflucht in Pakistan, insbesondere in den Grenzregionen. Zwar kooperierte Islamabad nach dem 11. September 2001 mit den USA. Doch gilt es als ausgemacht, dass Teile der pakistanischen Elite die Taliban heimlich unterstützten - ein Umstand, der sich als entscheidend für deren Überleben und ihre Rückkehr an die Macht im August 2021 erwies.

"Die Taliban nutzten Pakistan als sicheren Zufluchtsort, um ihren Aufstand in Afghanistan zu unterstützen. Diesen Umstand wertete Pakistan als Möglichkeit, dem indischen Einfluss in Afghanistan entgegenzuwirken", sagt ein Taliban-Beamter im Kabuler Bildungsministerium, der anonym bleiben möchte. "Es war eine Beziehung zum beiderseitigen Nutzen."

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Neue Ära in Kabul

Mit der Rückkehr der Taliban an die Macht hat sich diese Dynamik erheblich verändert. Die Taliban seien auf Pakistan nicht mehr länger angewiesen, sagt Adam Weinstein, Nahost-Experte am Think Tank Quincy Institute. "Vielmehr behaupten ihre Unabhängigkeit und weigern sich, sich Pakistan unterzuordnen oder dessen Forderungen zu erfüllen."

Die Taliban-Führer sind sich der früheren Unterstützung durch Pakistans zwar bewusst. Dass Pakistan Taliban-Führer nun schikaniert, verhaftet und an die USA ausliefert, sehen sie als Beweis für die Doppelzüngigkeit Islamabads.

"Ein hartes Vorgehen gegen die TTP, wie von Pakistan gefordert, könnte eine Gegenreaktion innerhalb der Taliban selbst auslösen", so der anonyme Taliban-Vertreter. Einige TTP-Mitglieder könnten womöglich zur Gruppe "Islamischer Staat Khorasan" (ISIS-K) überlaufen. Diese bekämpft die Taliban innerhalb Afghanistans.

Taliban auf der Suche nach neuen Verbündeten

Während die Beziehungen zu Pakistan abkühlen, sind die Taliban bereits dabei, neue Partnerschaften zu schmieden. Die westlichen Mächte zögern noch, auf entsprechende Angebote der Taliban einzugehen. Russland, Iran, Indien und einige zentralasiatische Staaten hingegen gehen vorsichtig auf das Regime zu.

Bereits jetzt erhalte die Taliban-Regierung erhebliche Einnahmen aus ausländischen Investitionen, sagt Sulehria vom Think Tank PoliTact. Dies gelte insbesondere mit Blick auf China, dass die reichhaltigen Bodenschätze Afghanistans abbaut.

"Zudem wenden sich die Taliban an Iran, um Zugang zum internationalen Handel zu erhalten. Das deutet darauf hin, dass sie bestrebt sind, ihre Partnerschaften zu diversifizieren", so Sulehria zur DW. 

"Tatsächlich unterstützten Afghanistans Nachbarn und die internationale Gemeinschaft die Taliban sowohl direkt als auch indirekt", sagt Weinstein vom Quincy Institute im Gespräch mit der DW. "Dies geschieht durch Handel, Hilfe und diplomatische Kanäle."  Der Grund für die Unterstützung liege auf der Hand: "Alternativen zur Herrschaft der Taliban sieht die Welt mit Sorge entgegen. Man fürchtet einen Bürgerkrieg, eine noch stärkeren ISKP sowie allgemeine Instabilität."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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