1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikSyrien

Syrien: Politischer Unmut und Proteste im Drusengebiet

Cathrin Schaer | Omar Albam (Syrien)
13. März 2024

In Suwaida in Südwest-Syrien demonstrieren Bürger seit Monaten gegen schlechte Wirtschaftsbedingungen und das Regime von Baschar al-Assad. Eine wichtige Rolle spielt dabei eine religiöse Minderheit.

Drusische Flaggen werden bei den Protesten in as-Suwaida geschwenkt
Zu Beginn der Proteste in Suwaida stand die Unzufriedenheit der Bürger mit ihrer wirtschaftlichen Situation. Dann wurde es zunehmend politisch. Denn die Demonstranten in Suwaida wollen das Ende des Assad-Regimes.Bild: Suwayda24/AP/picture alliance

Lange blieb es friedlich bei Protesten in der südwest-syrischen Stadt Suwaida. Seit August vergangenen Jahres sind dort immer wieder Menschen gegen das brutale Regime von Baschar al-Assad auf die Straße gegangen. Es gilt als verantwortlich für den Tod von fast einer halben Million und der Vertreibung mehrerer Millionen Bürger in Syrien. Doch in Suwaida hielt es sich zurück.

Ende vergangenen Monats schossen die Sicherheitskräfte während eines Protests vor einem Regierungsgebäude dann doch scharf. Dabei kam der 52-jährige Dschawad al-Barouki ums Leben. Ein weiterer Demonstrant wurde schwer verletzt.

"Wir in Suwaida wissen: das Regime bevorzugt Kugeln", sagt die Demonstrantin Lubna Albassit. "Man hat erst gewartet, ob unsere Bewegung von selbst nachlässt. Doch weil die Demonstrationen weitergehen, sollen wir eingeschüchtert werden."

Das aber werde nicht funktionieren, sagt Albassit: "Die Kugeln werden uns nicht beeindrucken. Wir sind seit langem davon ausgegangen, dass man irgendwann auf uns schießen wird. Obwohl wir nichts anderes tun als friedlich zu protestieren." 

Drusische Demonstranten und ihre Forderungen an das syrische RegimeBild: Suwayda24/AP/picture alliance

Wirtschaftliche Unzufriedenheit

Am Anfang der Proteste in Suwaida stand die Unzufriedenheit der Bürger mit ihrer wirtschaftlichen Situation. Insbesondere ärgerten sie sich über die hohen Benzinpreise. Dann aber nahmen die Kundgebungen einen zunehmend politischen Charakter an. Schließlich wollten die Demonstranten in Suwaida das Gleiche wie ihre Landsleute, die im Revolutionsjahr 2011 auf die Straße gingen: ein Ende des Assad-Regimes.

Allerdings: Abgesehen vom Tod des Demonstranten Ende Februar, hat das Assad-Regime in Suwaida bisher anders reagiert als damals. "Das Regime setzt darauf, dass die Bewegung irgendwann abebbt", bestätigt auch Fadel Abdul Ghany. Der Leiter des Syrian Network for Human Rights (SNHR) beobachtet von den Niederlanden aus die Menschenrechtsverletzungen in Syrien. "Sicher, es gibt Demonstranten auf der Straße, die einen grundlegenden demokratischen Wandel fordern. Aber noch handelt es sich nur um eine lokale Bewegung. Deswegen verzichtet das Regime auf eine Eskalation, die ihm nicht sonderlich nützen würde."

Ähnlich sieht es Mohammed Alaa Ghanem, politischer Chef der American Coalition for Syria mit Sitz in Washington. "Zwar könnte das Regime irgendwann seine Geduld verlieren und aktiv werden", meint er. Er glaube jedoch nicht, dass der Vorfall Ende Februar zwangsläufig auf steigende Gewalt hindeute. Dafür gebe es eine Reihe von Gründen, erläutert Ghanem im Gespräch mit der DW.

Einer davon sei die Botschaft, die von den Protesten in Suwaida ausgehe. "Diese Kundgebungen sind sehr wichtig, da sie die Behauptung des Regimes widerlegen, es achte und schütze die Minderheiten in Syrien". Getragen wird der Protest ganz wesentlich von Drusen, einer Religionsgemeinschaft, die zwar aus dem Islam entstanden, diesem aber heutzutage aber eher entfernt verbunden ist. Die Drusen hatten sich lange Jahre loyal gegenüber Assad gezeigt. Doch seit geraumer Zeit sind auch sie mit dessen Regierungsführung erkennbar unzufrieden.

Ihr Protest kommt für die Regierung äußerst ungelegen. Jahrelang hatte Damaskus behauptet, die meisten pro-demokratischen Demonstranten seien islamistische Extremisten, die sich, wenn sie einmal an die Macht kämen, gegen die Minderheiten des Landes wenden würden. Die Proteste in Suwaida, einer Hochburg der drusischen Minderheit, scheinen diese Behauptung jedoch zu widerlegen. "Wir sehen, wie eine der größten Minderheiten in Syrien auf die Straße geht, die Herrschaft Assads für katastrophal hält und deren Ende will", sagt Alaa Ghanem. Aus diesem Grund habe das Regime bisher darauf verzichtet, auf das sonst übliche Ausmaß an Gewalt zu setzen.

Die Assad-Regierung scheint genau abzuwägen, welchen Eindruck ein systematisches gewaltsames Vorgehen gegen die drusische Gemeinschaft international und nicht zuletzt auch in der Region hervorrufen würde. Dies gilt umso mehr, als eine Reihe arabischer Staaten, unter ihnen das mächtige Saudi-Arabien, sich bereits vor einiger Zeit entschlossen haben, ihre Beziehungen zum Assad-Regime wieder zu normalisieren- nachdem die Arabische Liga Syrien während der blutigsten Jahre des Bürgerkriegs aus ihren Reihen verstoßen hatte.

Proteste in al-Suwaida im August 2023 - schon damals haben die Drusen protestiertBild: Suwayda24/AP/picture alliance

Nachhaltiger Protest

Zwar ist die Protestbewegung in Suwaida bisher vergleichsweise klein und lokal begrenzt. Dennoch hat sie in Syrien viel Aufsehen erregt. In den vergangenen sieben Monaten habe es keinen einzigen Tag gegeben, an dem der zentrale Karama-Platz (Platz der Würde) in Suwaida nicht besetzt gewesen sei, sagt Menschenrechts-Aktivist Ghanem. Im Zuge der Proteste lösten die Demonstranten nach Angaben von Aktivisten sogar Büros der politischen Partei Assads in der Provinz auf und wandelten sie in Schulen, Kliniken und Gemeindezentren um. Zudem gründeten sie Gewerkschaften und andere demokratische Institutionen. Frauen übernahmen bei den Protesten in Suwaida eine führende Rolle. Und die Demonstranten schlugen sogar vor, Suwaida könne ein autonomes, in Teilen unabhängig von der syrischen Regierung regiertes Gebiet werden. 

In diesem Fall könnte das Gebiet sich nach dem Muster anderer südlicher Regionen - etwa Daraa und Quneitra - entwickeln, so Rayan Maarouf, Chefredakteur des lokalen Mediennetzwerks Suwayda 24, Ende 2023 in der Online-Publikation Syria Direct. Dort sei die Situation ähnlich. "Die Sicherheitsbehörden sind dort nicht ernsthaft präsent, ihre Anwesenheit ist eine reine Formalität." Politisch spiele stattdessen die lokale Gemeinschaft eine wichtige Rolle, so der Journalist.

Doch es gibt auch verhaltene Stimmen. "Die Menschen hier haben das Gefühl, dass sie mit ihrem Schicksal allein gelassen und verraten wurden", sagt Aktivist Louay Hadifa der DW. "Wir werden mit Syrien verbunden bleiben. Allerdings denken wir darüber nach, dem Beispiel von föderalen Ländern wie Deutschland oder den USA zu folgen."

Wie viele der Demonstranten in Suwaida diese Idee teilen, ist unklar. Demonstrantin Lubna Albassit jedenfalls lehnt sie ab. Sie sähe darin eine Möglichkeit für Assad, an der Macht zu bleiben. "Wir wollen eine Heimat für alle Syrer. Die syrische Revolution war und ist eine Stimme für alle Syrer", sagt sie.

Syrien: Ein Jahr nach dem Erdbeben

02:47

This browser does not support the video element.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen