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PolitikNahost

Aus der Haft entlassen, aber nicht frei

Diana Hodali
11. Februar 2021

Saudi-Arabien sah in Ludschain al-Hathlul eine Gefahr für die nationale Sicherheit. Jetzt ist die Frauenrechtlerin auf Bewährung aus dem Gefängnis gekommen. Dabei könnte die neue US-Regierung eine Rolle gespielt haben.

Saudi-arabische Aktivistin Ludschain al-Hathlul
Bild: Marieke Wijntjes/Amnesty International/dpa/picture alliance

1001 Tage, also fast drei Jahre lang, saß die bekannte saudi-arabische Frauenrechtsaktivistin Ludschain al-Hathlul in Haft, nun wurde sie auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen: "Ludschain ist zu Hause!!!!!!", schrieb ihre Schwester Lina al-Hathlul am Mittwoch beim Kurznachrichtendienst Twitter. Sie postete ein Foto eines Videotelefonats dazu, das eine lächelnde Ludschain zeigt.

"Als ich sie gesehen habe, war das ein ganz spezieller Moment, den ich nie vergessen werde. Sie ist eine so starke Frau, so kenne ich sie", sagte Ludschains zweite Schwester Alia al-Hathlul auf einer Online-Pressekonferenz. "Wir sind froh, dass sie wieder in einem warmen Bett schlafen kann." Einer ihrer ersten Wünsche nach der Freilassung sei es gewesen, ein Eis zu kaufen. "Daraufhin bin auch ich mit meinen Kindern zum Supermarkt gefahren und haben Eis gekauft, um diesen Moment mit ihr zu teilen", sagte Alia al-Hathlul, die in Belgien lebt.

Festnahme im Mai 2018 - Urteil im Dezember 2020

Jahrelang hatte Ludschain al-Hathlul gegen das Fahrverbot für Frauen in Saudi-Arabien gekämpft. Sie setzte sich auch gegen das bestehende Recht ein, das Frauen unter die Vormundschaft eines männlichen Angehörigen stellt. Im Mai 2018, wurde die Aktivistin schließlich festgenommen.

Dabei hob das saudische Königreich nur wenige Wochen später das Fahrverbot für Frauen auf. Beobachter gingen damals davon aus, dass Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS), der lange Zeit versuchte, sich als Reformer darzustellen, den Eindruck verhindern wollte, diese Reform sei auf Druck von Aktivistinnen zustande gekommen.

Im Dezember 2020 wurde Al-Hathlul schließlich auf der Grundlage eines Anti-Terror-Gesetzes von einem Terrorismusgericht zu fünf Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt. Ihr wurde vorgeworfen, die nationale Sicherheit zu gefährden und durch ihre Kontakte zu ausländischen Regierungen einen politischen Systemwechsel anzustreben. Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung hatte Al-Hathlul bereits mehr als zwei Jahre in Untersuchungshaft gesessen.

Joe Biden hatte im Wahlkampf angekündigt, einen härteren Kurs gegen Saudi-Arabien zu fahren

"Der Kampf ist nicht zu Ende"

Aufgrund der geltenden Bewährungsregeln hatte die Familie auf eine Freilassung in den kommenden Monaten gehofft - nun geschah dies bereits jetzt. Ludschain habe "1001 Tage im Gefängnis" verbracht, schrieb ihre Schwester Lina und mahnte zugleich: "Der Kampf ist nicht zu Ende." Sie appellierte daran, im Zusammenhang mit der Haftentlassung ihrer Schwester nicht von "Freiheit" zu sprechen. "Ludschain ist zu Hause, aber sie ist nicht frei." Die Aktivistin steht weiter unter Bewährung und darf Saudi-Arabien in den kommenden fünf Jahren nicht verlassen - auch ihre Eltern sind in den vergangenen Jahren von Reisen ins Ausland abgehalten worden - ohne offizielle Begründung.

Das saudische Terrorismusgericht, das 2008 eingerichtet wurde, habe seine eigene Definition von "Terrorismus", sagt Nahost-Experte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Nicht das Gericht, "die Regierung definiert, was Terrorismus ist. Wir haben es dort mit politischen Verfahren zu tun, die ganz maßgeblich von der politischen Führung bestimmt werden. Und um das zu erleichtern, wurde dieser Gerichtshof gegründet", so Steinberg.

Erneute Inhaftierung jederzeit möglich 

Daher könnte Al-Hathlul nach Angaben ihrer Unterstützer für jede als illegal empfundene Handlung in den kommenden drei Jahren auch wieder festgenommen werden. Ihre Schwester Lina al-Hathlul geht daher nicht davon aus, dass Ludschain in Zukunft wieder in den sozialen Netzwerken aktiv sein könne, da unter anderem ihre Tweets als illegal betrachtet wurden und neben den Terrorismusvorwürfen auch das Gesetz zur Cyberkrimininalität für ihr Urteil herangezogen wurden.

Die Freilassung der 31-jährigen Aktivistin wurde weltweit begrüßt - unter anderem von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, dem Grünen-Politiker Omid Nouripour und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Auch US-Präsident Joe Biden, der seit seinem Amtsantritt einen härteren Kurs gegen Saudi-Arabien fährt, zeigte sich erleichtert. "Sie freizulassen, war richtig", sagte er bei einer Rede im US-Verteidigungsministerium.

Die neue US-Regierung könnte eine Rolle gespielt haben 

Der Demokrat hatte bereits im US-Wahlkampf 2020 angekündigt, mit Blick auf Menschenrechtsverletzungen durch Saudi-Arabien eine harte Haltung gegenüber dem Verbündeten einzunehmen. Er wolle Saudi-Arabien zu dem "Paria machen, der es ist", sagte Biden unter anderem. Drei Wochen nach seiner Amtsübernahme wurde nun Ludschain al-Hathlul früher als erwartet auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen. Es sei davon auszugehen, dass der Wechsel von Donald Trump zu Joe Biden dabei eine "ganz ganz wichtige Rolle gespielt" habe, sagt Nahostexperte Guido Steinberg. "Das Urteil im Dezember war bereits ein Hinweis darauf, dass das Königreich auf den zu erwartenden Druck aus Washington reagiert", sagte Steinberg. Ursprünglich war ein deutlich höheres Strafmaß erwartet worden, zudem kündete das Gericht bereits im Dezember eine mögliche Freilassung al-Hathluls auf Bewährung an.

Der Zeitpunkt dieses Urteils - nach der US-Wahl und vor der Amtseinführung Bidens - sei ein Hinweis darauf, dass die veränderte Konstellation in Washington durchaus eine Rolle gespielt habe. Auch Alia al-Hathlul geht davon aus, dass die neue US-Regierung ihren Einfluss zugunsten ihrer Schwester geltend gemacht habe. Sie und ihre Familie haben sich ebenfalls unermüdlich für die Freilassung Ludschains eingesetzt.

Lina al-Hathlul und ihre Geschwister haben hart für die Freilassung ihrer Schwester gekämpftBild: privat

Viele Kritiker bleiben in Haft

Der ehemalige US-Präsident, Donald Trump, pflegte ein enges Verhältnis zu Kronprinz Mohammed bin Salman. Er sah in ihm einen Verbündeten gegen den Iran. Trotz schwerer Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien und der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi in der saudischen Botschaft in Istanbul hatte sich Trump nie von seinem Saudi-Arabien-freundlichen Kurs abbringen lassen.

Zahlreiche Menschenrechtsaktivisten und Kritiker des saudischen Regimes sitzen derzeit in Gefängnissen - darunter auch die Aktivistinnen Nassima al-Sada, Maya'a al-Zahrani und Samar Badawi, die Schwester des inhaftierten Bloggers Raif Badawi. Eine weitere Aktivistin, Nouf Abdulaziz, wurde zeitgleich mit Ludschain al Hathloul entlassen. "Insgesamt dürfte sich die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien trotz dieses Erfolges in den kommenden Monaten und Jahren nicht verbessern", so Steinberg. Die Toleranz gegenüber Oppositionellen - auch schon bei moderaten Kritikern der Regierung - sei in den letzten Jahren weiter deutlich gesunken. "Die Bewegungsraum für Oppositionelle wird immer weiter beschränkt."

Ludschain al-Hathlul will Gerechtigkeit

Auch Lina al-Hathlul blickt nicht sehr hoffnungsvoll auf die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien. "Ludschains Entlassung ist gut für sie und uns, ihre Familie. Das ändert aber nichts an dem institutionellen Problem des Landes. Nur weil sie freigelassen wurde, bedeutet das nicht, dass Frauen mehr Rechte bekommen werden. Solange sie keine Aktivistin sein kann, wird sich nichts ändern", sagte Lina. Die Menschen, die für ihre Inhaftierung zuständig gewesen seien, würden sich nicht ändern. Trotz ihrer schweren Lage sei Ludschain aber entschlossen, zumindest in einer Sache weiter zu kämpfen.

Sie wolle Gerechtigkeit, weil sie gefoltert worden sei, sagte Alia al-Hathlul. "Sie kann dieses Erlebnis nicht vergessen." Ludschain al-Hathlul soll - wie auch andere Inhaftierte - mit Elektroschocks und Schlägen gefoltert worden sein. Das berichten ihre Familie und Amnesty International gleichermaßen. Riad bestreitet diese Vorwürfe. Um Gerechtigkeit zu erzielen, war sie sogar vor das Strafgericht gezogen. Dort kam man zu dem kürzlich erneut bestätigten Urteil, dass es keine Folter gegeben habe. Ludschain al-Hathlul sei nun in der Pflicht, dem Gericht die Folter nachzuweisen, so ihre Schwester Lina.

 

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