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KonflikteEcuador

Gewalt in Ecuador eskaliert – TV-Studio gestürmt

10. Januar 2024

Ecuador sieht sich nach der Verhängung des Ausnahmezustands mit neuen Gewaltausbrüchen konfrontiert. Bewaffnete Männer kaperten ein Fernsehstudio und nahmen Geiseln.

Ecuador, Guayaquil | Geiselnahme in einem TV-Sender
Schwer bewaffnete Sicherheitskräfte beziehen Position vor dem gekaperten FernsehsenderBild: Marcos Pin/AFP/Getty Images

Inmitten eskalierender Gewalt in Ecuador haben Bewaffnete während einer Live-Sendung ein Studio des staatlichen Fernsehsenders TC in Guayaquil gestürmt. Sie brachten kurzzeitig mehrere Journalisten und andere Mitarbeiter in ihre Gewalt. Die Angreifer seien in den Empfangsbereich eingedrungen, hätten Mitarbeiter angegriffen und Dynamit gelegt, sagte der Nachrichtenkoordinator und Reporter von TC, Leonardo Flores Moreno, der Nachrichtenagentur Reuters. Zwei Personen seien verletzt worden.

Während der Übertragung waren Schüsse und Schreie zu hören, einige der Angreifer gestikulierten in die Kamera und jemand rief "keine Polizei". Die mit Sturmhauben maskierten und überwiegend schwarz gekleideten Personen fuchtelten mit Waffen herum und gingen auf die zusammengekauerten Mitarbeiter los, bevor die Übertragung abgebrochen wurde. Die Polizei teilte später mit, dass "die Ordnung wiederhergestellt" und 13 Eindringlinge festgenommen worden seien. Es seien Waffen und Sprengstoff sichergestellt worden. Den Festgenommenen werde Terrorismus vorgeworfen.

Polizisten bringen Mitarbeiter des Fernsehsenders in SicherheitBild: Cesar Munoz/AP/picture alliance

Ausnahmezustand verhängt

Präsident Daniel Noboa hatte am Montag wegen der Gewalt in den Gefängnissen - darunter die Geiselnahme von Wärtern und die Flucht des Bandenchefs Adolfo Macías alias "Fito" - einen 60-tägigen Ausnahmezustand verhängt. Zwei Monate lang wird das Militär demnach in den Gefängnissen und auf den Straßen des Landes eingesetzt. Zudem gilt zwischen 23.00 Uhr und 05.00 Uhr eine nächtliche Ausgangssperre. Fast zwei Dutzend kriminelle Banden wurden zu terroristischen Organisationen erklärt. 

Am Dienstag ordnete Noboa angesichts der eskalierenden Bandengewalt Militäreinsätze gegen kriminelle Organisationen an. Ecuador befinde sich im Kampf gegen das organisierte Verbrechen mittlerweile in einem internen bewaffneten Konflikt, heißt es in einem Dekret. Bei den Banden handle es sich um terroristische Organisationen und nicht-staatliche Kriegsparteien, die "ausgeschaltet" werden sollten. "Alle diese Gruppen sind jetzt militärische Ziele", sagte Admiral Jaime Vela, Chef des gemeinsamen Kommandos der Streitkräfte, nach einem Sicherheitstreffen mit Noboa und anderen Offiziellen.

Mindestens zehn Todesopfer

Kurz danach kam es zu mehreren Anschlägen im Land. Nach jüngsten Angaben wurden dabei mindestens zehn Menschen getötet. Acht Menschen seien bei Angriffen in der Hafenstadt Guayaquil getötet und drei weitere verletzt worden. Zwei Polizisten seien überdies in der nahegelegenen Stadt Nobol "von bewaffneten Kriminellen brutal ermordet" worden, hieß es. Die Behörden meldeten mehrere Explosionen, die sich unter anderem gegen die Polizei richteten. Bislang hat sich niemand zu den Taten bekannt.

In mehreren Gefängnissen in Ecuador brachen Unruhen aus. Bei drei Vorfällen in der südlichen Stadt Machala, in Quito und in der Provinz Los Rios wurden nach Polizeiangaben sieben Polizisten entführt. Die Gefängnisbehörde SNAI erklärte, elf Gefängniswärter, die in den vergangenen zwei Tagen als Geiseln genommen worden waren, seien wieder frei. 139 Wärter und anderes Personal seien jedoch noch in Geiselhaft.

Im Regierungssitz Carondelet kam derweil das Sicherheitskabinett zu einer Sitzung zusammen. "Wir werden nicht zulassen, dass terroristische Gruppen den Frieden im Land stören", sagte Präsident Noboa. Nach einem Bericht des Fernsehsenders Ecuavisa patrouillierten Soldaten in gepanzerten Fahrzeugen im historischen Zentrum der Hauptstadt Quito. Bis Ende der Woche sollen alle Schulen des Landes geschlossen bleiben, wie das Bildungsministerium mitteilte.  

Soldaten patrouillien auf den Straßen der Hauptstadt QuitoBild: Dolores Ochoa/AP/picture alliance

Peru verstärkt Militär an der Grenze 

Die Unruhen veranlassten die peruanische Regierung, den Ausnahmezustand an der mehr als 1400 Kilometer langen Grenze zu Ecuador auszurufen und Sicherheitskräfte und Armeetruppen in das Gebiet zu verlegen. China schloss seine Botschaft und seine Generalkonsulate in Ecuador mit Wirkung zum 10. Januar bis auf weiteres. Brasilien, Kolumbien und Chile sprachen der ecuadorianischen Regierung ihre Unterstützung aus.

Angesichts der Entwicklungen riet das Auswärtige Amt in Berlin von nicht notwendigen Reisen nach Guayaquil und Umgebung sowie in die Stadt Esmeraldas ab. Vor allem die Lage in Guayaquil sei "aktuell volatil und unübersichtlich", heißt es in den Reise- und Sicherheitshinweisen des Ministeriums. Der oberste US-Diplomat für Lateinamerika, Brian Nichols, äußerte sich im Onlinedienst X "äußerst besorgt über die heutige Gewalt und die Entführungen in Ecuador".

Sehr hohe Mordrate

Die Sicherheitslage in Ecuador hatte sich zuletzt dramatisch verschlechtert. Die Mordrate von rund 46,5 Tötungsdelikten pro 100.000 Einwohner im vergangenen Jahr war die bislang höchste in der Geschichte des einst friedlichen Andenstaates und eine der höchsten in Lateinamerika. Präsidentschaftskandidat Fernando Villavicencio, der gegen die Korruption zu kämpfen versprach, war im August nach einer Wahlkampfveranstaltung erschossen worden.

Ecuador liegt zwischen Kolumbien und Peru, den beiden größten Kokainproduzenten der Welt, galt aber lange als vergleichsweise friedlich und stabil. In den vergangenen Jahren wurde das Land selbst zu einer Drehscheibe für den internationalen Drogenhandel. Seitdem hat auch die Gewaltkriminalität massiv zugenommen. Mehrere Banden mit Verbindungen zu mächtigen mexikanischen Kartellen kämpfen um die Kontrolle über die Routen des Drogenhandels. Auch albanische Drogenhändler sollen mittlerweile mitmischen.

Schlüsselrolle des Bandenchefs Fito 

Nach Ansicht des Kriminologen und Sicherheitsberaters Ricardo Sosa, einem Experten für das organisierte Verbrechen in der Region, ist Bandenchef Fito aufgrund "seines auf Terror basierenden Führungsstils" zu einer Medienfigur geworden. Der Deutschen Welle sagte er weiter: "Er ist einer der Ideologen, die die größten Massaker in ecuadorianischen Gefängnissen geplant und angeordnet haben, um seine Position in den Strafvollzugsanstalten zu festigen."

Häftlinge haben Botschaften zu Fito auf den Boden des Gefängnishofes in Guayaquil geschriebenBild: ENRIQUE ORTIZ/AFP

Fitos Bande Choneros und andere kriminelle Banden hätten eine regelrechte "illegale Ökonomie“ in den Gefängnissen aufgebaut, erläuterte Luis Córdova im Gespräch mit der DW. "Allein im Regionalgefängnis von Guayaquil verwalten sie zusammen fast 700.000 Dollar", so der Koordinator des Programms "Forschung, Ordnung, Konflikt und Gewalt" an der Zentraluniversität von Ecuador. Zusammen mit der fehlenden Kontrolle über die Verwaltung von Vermögenswerten und Kapital habe dies die ecuadorianischen Gefängnisse zu einer "strategischen Drehscheibe für die Planung und den Vertrieb von Drogen gemacht", argumentierte er.

kle/se (rtr, afp, dpa, DW)