1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Belarus: Trotz Krankheit und Behinderung im Gefängnis

Daria Bernstein
10. März 2024

Laut Menschenrechtlern leiden allein unter den politischen Gefangenen in Belarus mehr als 40 an Behinderungen und schweren Erkrankungen. Welche Chancen haben sie, vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden?

Ein vergittertes Fenster hinter einem Stacheldraht
Gefängnis in Minsk (Archivbild)Bild: Zuma Press/IMAGO

Fünf politische Häftlinge sind seit 2021 in belarussischen Gefängnissen gestorben. Menschenrechtsaktivisten führen das auf die unmenschliche Behandlung zurück. So hätten die Betroffenen keinen Zugang zu schneller und guter medizinischer Versorgung erhalten. Drei von ihnen hätten bereits vor ihrer Inhaftierung mit schweren gesundheitlichen Problemen zu kämpfen gehabt.

Dem Gesetz nach muss auch in Belarus auf den Gesundheitszustand eines Festgenommenen geachtet werden. Nach Angaben der belarussischen Justiz waren im Jahr 2010 zehn Prozent der Beschwerden erfolgreich, worauf die Inhaftierung der Gefangenen aufgehoben wurde. Im Jahr 2021 war das nur noch bei 1,3 Prozent der Beschwerden der Fall. Heute werden auch Menschen mit Behinderungen, Schwangere, ältere Menschen und auch solche, die an Diabetes, Krebs und anderen chronischen Krankheiten leiden, in Untersuchungshaft genommen.

Auf einer Trage liegend zum Verhör

Ermittler würden häufig den Gesundheitszustand eines Angeklagten ausnutzen, um "nützliche" Aussagen aus ihm herauszupressen, sagt der ehemalige Leiter des medizinischen Dienstes bei der Abteilung für Strafvollzug des belarussischen Innenministeriums, Wassilij Sawadskij. Sollte der Betroffene bestimmte Papiere nicht unterschreiben, werde ihm mit einer Verschlimmerung seines Gesundheitszustands gedroht.

In fast allen Fällen werden Personen, die aus politischen Gründen verfolgt werden, ungeachtet ihres Gesundheitszustands in Untersuchungshaft genommen. Ein ehemaliger belarussischer Anwalt, der ungenannt bleiben möchte, führt folgendes Beispiel an: "Ein aus politischen Gründen verfolgter Mandant musste operiert werden. Er konnte vor Schmerzen nicht mehr schlafen und wurde trotzdem in ein Untersuchungsgefängnis gesteckt. Dabei dürfen die Haftbedingungen keinesfalls Leben und Gesundheit gefährden. Der Ermittler sagt: 'Ich bin kein Arzt.' Und die Ärzte verweisen auf den Ermittler, weil er die Entscheidung getroffen hatte, die Person in Isolationshaft zu nehmen."

Es sei sehr schwierig gewesen, eine Operation durchzusetzen, berichtet der Anwalt weiter. Danach sei es dann zu Komplikationen gekommen. "Der Mandant wurde auf einer Trage zum Verhör gebracht. Auf dem Boden liegend wurde er vernommen und zudem auch noch gefilmt. Der Ermittler sah in diesem eindeutig unmenschlichen Umgang allerdings nichts Außergewöhnliches."

Gerichte in Belarus ignorieren mildernde Umstände wie schwere KrankheitenBild: A. Burakow/DW

Der Anwalt des belarussischen Menschenrechtszentrums "Viasna", Pawel Sapelko, weist darauf hin, dass in Belarus Folter systematisch gegen politische Gefangene angewandt werde, unabhängig von einer Behinderung oder einer schweren Krankheit. Dies habe zum Tod von fünf politischen Gefangenen in Haft geführt.

Harte Strafen aus politischen Gründen

Verurteilte würden vom Justizsystem in Belarus isoliert und nicht resozialisiert, erläutert ein weiterer ehemaliger belarussischer Anwalt, der auch ungenannt bleiben möchte. Zudem erhalte eine bisher nicht verurteilte Person, die ein weniger schweres Verbrechen begangen hat, gleich eine harte Strafe. Gerichte würden mildernde Umstände wie schwere Krankheiten und sogar Behinderungen häufig ignorieren.

Für politische Gefangene, so der Gesprächspartner weiter, gebe es die Anordnung, noch härtere Strafen zu verhängen. Als Beispiel nennt er den Fall von Nikolaj Klimowitsch, der eine Behinderung hatte. Weil er eine Karikatur des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko mit einem Like versehen hatte, wurde er zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.  Dabei hatten der Angeklagte und sein Anwalt während des Prozesses beteuert, dass eine Haftstrafe aus gesundheitlichen Gründen nicht zu bewältigen sei. Zwei Monate später verstarb Klimowitsch im Gefängnis.

Keine Haftentlassung aus medizinischen Gründen in Belarus?

Auch in Belarus sollte eine Haftentlassung aus medizinischen Gründen möglich sein. Dafür gibt es eine entsprechende Liste von Erkrankungen wie Tuberkulose, Krebs oder Diabetes. Die Entscheidung müsse dann eine Sonderkommission fällen, erläutert Wassilij Sawadskij. Danach entscheide ein Gericht. Es habe das Recht, eine Haftentlassung aus medizinischen Gründen zuzulassen, sei aber nicht dazu verpflichtet. Eine Garantie gebe es nicht, selbst wenn Ärzte eine Inhaftierung als lebensbedrohlich einstuften. In der Praxis kämen betroffene Gefangene nur in Ausnahmefällen frei, beispielsweise wenn sie bereits Krebs im Endstadium hätten und zum Sterben nach Hause geschickt würden.

Aber selbst unter solch extremen Umständen gelingt es nicht jedem, aus der Haft entlassen zu werden. So starb 2018 die ehemalige Richterin Jelena Melnikowa in einer Strafkolonie. Sie wurde 2016 wegen Annahme von Bestechungsgeldern zu 13 Jahren Haft verurteilt. Melnikowa sollte zur Behandlung in eine onkologische Klinik gebracht werden, doch sie starb einen Tag vor ihrer Haftentlassung.

Das Oberste Gericht von Belarus stellt keine Daten darüber zur Verfügung, wie viele Personen aus medizinischen Gründen aus der Haft entlassen wurden. Unter politischen Gefangenen sind solche Fälle jedenfalls unbekannt.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

Belarus: Gewalt gegen Regierungskritiker

02:36

This browser does not support the video element.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen